Curriculum-Workshop 1997

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Das Informatikstudium: Zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Erwerb von Berufsfähigkeit?

 

4. und 5. Dezember 1997, Hotel Rosop, Barnstorf

 

Erster Workshop im Rahmen des Projekts Informatica Feminale – Sommeruniversität für Frauen in der Informatik

 

Workshop-Organisation
Veronika Oechtering und Dr.-Ing. Karin Vosseberg
AG Theoretische Informatik
Fachbereich Mathematik/Informatik

Universität Bremen
Postfach 330440
28334 Bremen

 

 

 

- Positionspapier -

 

Heidi Schelhowe, Institut für Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin,
Unter den Linden 6, 10099 Berlin

 

Liebe Frauen,

als Positionspapier für den Workshop "Informatica Feminale" möchte ich Euch einen Auszug aus einem Artikel schicken, den ich für das Buch von Sigrid Metz-Göckel und Felicitas Steck "Frauenuniversitäten: Ein Reform-Projekt im internationalen Vergleich" geschrieben habe.

Leider fehlt mir im Moment die Zeit einen Vorschlag für das Curriculum der Sommeruniversität auszuarbeiten. Dennoch möchte ich eine Idee, die mich bewegt, schon mal äußern. Vielleicht finden sich ja Frauen, die Lust und Interesse haben, schon im Vorfeld des Workshops den Gedanken mit mir zusammen etwas zu konkretisieren.

Meine Idee knüpft an die Vorstellung von Veronika und Karin, das Studium nach "Themenschwerpunkten" zu organisieren. In den Communications of the ACM schrieb Peter Wegner einen Aufsatz, wonach er es für an der Zeit hält, die Informatik auf eine neue Grundlage zu stellen, er hält "Interaction" für eine geeignetere Grundlage als die Algorithmik (Wegner, Peter: Why Interaction Is More Powerful Than Algorithms. In: CACM, May 1997, Vol. 40, No.5, S.81-91). Dieser Gedanke könnte – so finde ich – ein äußerst reizvoller Ausgangspunkt sein, verschiedene Konzepte, Modelle, Methoden der Informatik neu zu betrachten daraufhin, was sie zu einer "Theorie der Interaktion" beitragen können. Dazu würde es mit Sicherheit nicht ausreichen, sich auf ein Teilgebiet der Informatik zu beschränken. Ich habe noch keine ausgearbeiteten Vorstellungen, ich möchte nur ein paar Stichworte nennen, die mir spontan dazu einfallen und bearbeitet werden könnten:

– von-Neumann-Architektur und Parallelrechner

– neuronale Netze

– Automatentheorie, neu betrachtet

– Wird Objektorientierung dem neuen Paradigma besser gerecht als imperative Sprachen?

– Flußdiagramme, Petrinetze

– Geschichte der Benutzungsschnittstellen, Mensch-Maschjne-Kommunikation vs. Softwareergonomie?

– Softwareengineering: Phasenmodell und Kommunikation

– Informationsgesellschaft, Computer als Medium statt als Maschine?

– von Vannevar Bushs Memex zum Hypertext

– ...

Bei einem solchen Thema würde es sich um eine Art "forschendes" Lernen handeln, wir hätten eine gemeinsame Fragestellung, die innovativ ist, würden uns auf das vorhandene theoretische Wissen der Informatik stützen, es aber neu betrachten.

Zu finden wäre noch eine gemeinsame Aufgabenstellung, irgendeine Art von Produkt (das auch theoretisch, mit praktischen Anteilen, bleiben könnte), in dem diese Fragestellung zusammengeführt werden kann, falls wir ein "Projekt" daraus machen wollten, was aber nicht unbedingt sein müßte. Über Mitstreiterinnen mit Ideen würde ich mich freuen!

 

Berlin, 14.10.97

 

 

Vorschläge für eine qualifizierte und innovative Informatik-Lehre an einer Frauen-Universität

Auszug aus: Heidi Schelhowe: Informatik – innovative Forschung und Lehre für Frauen. In: Metz-Göckel, Sigrid; Steck Felicitas: Frauenuniversitäten: Ein Reform-Projekt im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich 1997.

 

Ein Studiengang Informatik an einer Frauenuniversität muß den Frauen eine moderne Ausbildung bieten, die dem spezifischen Charakter der Wissenschaft Informatik und den Anforderungen einer zukünftigen Berufspraxis gerecht wird. Dabei können und müssen wir anschließen an den aktuellen Stand der Diskussion um die Informatik. Geeignete Vorschläge zur Veränderung des Curriculums existieren, werden aber bislang noch kaum in die Tat umgesetzt, weil sie an der Trägheit und Widerständigkeit alter, bestehender Strukturen, Machtverhältnisse und Kulturen scheitern. Insbesondere für die Usa hat Peter Denning in seinem Beitrag "Educating a New Engineer" interessante Hinweise zur sinnvollen Organisation eines Informatik-Studiums gemacht, die z.B. in dem Vorschlag einer Arbeit in Projekten und der Ableistung von Prüfungen in der Form von "exhibitions" münden. Ich beziehe mich im folgenden Teil unter anderem auch auf einige von Peter Denning vorschlagenen Curriculum-Elemente [Denning 1992].

1 Grundlagen

Häufig wird von seiten führender Industrievertreter betont, daß die universitäre Ausbildung zu praxisfern sei und sich stärker auf in der Praxis unmittelbar verwertbares Wissen konzentrieren müsse. Auch an den Universitäten ist insbesondere in den Ingenieurwissenschaften das Praxisargument beliebt und findet raschen Konsens in der Kritik existierender Mängel der Ausbildung.

Insofern die universitäre Forschung und Lehre sich oft zu wenig auf Fragestellungen aus der Praxis bezieht und nicht bemüht ist, ihre Antworten an der Praxis zu überprüfen und an ihr zu messen, mag diese Kritik einen richtigen Kern haben. Andererseits aber geht sie in eine problematische Richtung, wenn sie Theoriebildung und -vermittlung als solche betrifft. Interesse von Studierenden kann nicht sein, ihre Ausbildung an dem zu messen, was sich nahtlos in die aktuellen Anforderungen eines Betriebes einpassen und unmittelbar verwerten läßt. Gerade in der Informatik, deren technische Produkte, Sprachkonzepte oder Werkzeuge extrem raschen Veränderungen unterliegen, muß es Ziel sein, ein allgemeines und damit notwendigerweise theoriegeleitetes und abstraktes Struktur- und Methodenwissen auszubilden, das dazu befähigt, sich rasch in neuen Situationen zurechtzufinden. Dies erspart zwar nicht, erleichtert aber die Einarbeitung in neue technische Konzepte. Das letztere muß Aufgabe einer betrieblichen Weiterbildung sein und kann – im Interesse einer breiten und nicht nur für einen speziellen Betrieb qualifizierenden Bildung – nicht Ziel eines Hochschulstudiums sein.

Gefragt ist vielmehr ein Grundlagen- und Überblickswissen. Worin dies im einzelnen besteht, wird sicherlich auch immer wieder einer Überprüfung und Aktualisierung bedürfen. Was die Kritik der Praxisferne betrifft, gerät insbesondere auch immer wieder die Teildisziplin "Theoretische Grundlagen" in der Informatik in Mißkredit, die stark mathematisch orientiert ist. Eine gut gelehrte Theoretische Informatik muß und kann aber gerade die Basis für ein Grundlagenwissen sein, das abstrakt genug ist, daß es das Kommen und Gehen einzelner Konzepte überdauert. Jürg Nievergelt macht dazu im Informatik-Spektrum einige interessante Ausführungen, in denen er den Sinn der Theoretischen Informatik betont, gleichzeitig aber auch die Art ihrer Vermittlung kritisiert:

Die griechische Wurzel des Wortes "Theorie" heißt "sehen". Gut ausgewählte, verständlich dargestellte Theorie dient uns als Lupe und Fernrohr, um Tatbestände zu sehen, die von bloßem Auge unsichtbar bleiben. [Nievergelt 1995, S.344]

Weiter legt er an einem Beispiel dar, daß und wie formale Darstellungen (die oft eine Verständnis-Hürde für Studierende sind) kein Selbstzweck sind und sein dürfen, sondern ihren Nutzen erst beweisen müssen:

Formale Darstellung ist aber nicht das Kennzeichen der Theorie, sondern nur ein möglicher Aspekt. Das hier verwendete Gedankengerüst ist streng, es liegt am didaktischen Geschick, wie man es einfach und verständlich darstellt. Überformalisierung eines einfachen Gedankenganges ist eine der Sünden, mit der die theoretische Literatur potentielle Leser abschreckt. Ohne gegen formale Methoden im Allgemeinen zu wettern, sei Theoretikern empfohlen, solche sparsam einzusetzen unter angemessener Berücksichtigung der Leserschaft und des Themas. [Nievergelt 1995, S.343]

Eine solche Art, mit Formalismen umzugehen, dürfte es auch Studierenden, die nicht schon als Mathematik-Spezialisten an die Universität kommen, erlauben, die Vermittlung der mathematischen Grundlagen, die auch für die Theoretische Informatik gefordert ist, nicht nur als Horror zu erleben, durch den man sich irgendwie durchschlagen oder durchmogeln muß.

Aus Untersuchungen wissen wir, daß junge Frauen – im Unterschied zu Männern – oft nur dann den Weg zur Informatik wagen, wenn sie in der Schule hervorragende Leistungen in Mathematik vorweisen konnten. Deshalb haben sie oft weniger Schwierigkeiten mit der Theoretischen Informatik als ihre männlichen Kommilitonen. Mathematische Aspekte sind oft gerade ihre "Zugangsschneise" [Erb 1996]. So sind bezüglich der mathematischen Anforderungen in der Informatik an einer Frauenuniversität einerseits weniger Schwierigkeiten zu erwarten als an traditionellen Fachbereichen der Informatik. Andererseits aber muß ein Fachbereich für Frauen gerade auch solche Schülerinnen für ein Informatik-Studium motivieren könne, die (wie bisher schon eine größerer Teil der männlichen Studierenden) eher durchschnittliche Leistungen in Mathematik mitbringen.

Was insbesondere Frauen in der Informatik oft beklagen, ist der mangelnde Zusammenhang in den dargestellten Konzepten und die Bedeutung der verschiedenen Teildisziplinen im Gesamtkontext der Informatik. Dieser Zusammenhang kann schließlich durch eine projektbezogene Arbeit, die die Grenzen der Teildisziplinen überschreitet, sichtbar gemacht werden (vgl. 4.2). Aber auch für die Vermittlung von Grundlagen der Informatik, wie sie im Verlauf des Grundstudiums sicherlich notwendig sein wird, sind eine Reihe von Verbesserungen denkbar: So ist z.B. deutlich, daß die Einführung in die Mathematik deutlich an Qualität und Zusammenhang gewinnen kann, wenn sie von InformatikerInnen als Lehrende angeboten wird oder zumindest von MathematikerInnen mit starkem Bezug zu und Erfahrungen mit der Informatik. Wichtig ist sicherlich auch ein guter Austausch unter den Lehrenden und – trotz der Spezialisierung in der Forschung – die Kenntnisnahme anderer Forschungsgebiete der Informatik (vgl. dazu auch 4.4) .

Die Fähigkeit, "über den Tellerrand hinauszublicken" – wie Personalchefs ihre Anforderungen an IngenieurInnen oft formulieren –, versuchen die Hochschulen teilweise durch die Verpflichtung zum Studium eines Nebenfachs oder zum Besuch eines Studium Generale einzulösen. Solche Überlegungen sind auch für technische Studiengänge an einer Frauenuniversität anzustellen. Die Addition sozial- oder/und geisteswissenschaftlicher Veranstaltungen alleine ist aber sicherlich kein geeignetes Mittel um IngenieurInnen zu befähigen, später mit BenutzerInnen, mit Medien, mit Bürgerinitiativen, Gewerkschaften zu kommunizieren, Software eingebunden in den sozialen Kontext zu entwickeln und Fragen nach dem Nutzen und den Wirkungen von Technik, nach sinnvollen Alternativen, verantwortlich diskutieren zu können. Die Informatik selbst kann und darf sich der Verantwortung, ihre eigenen gesellschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen zu reflektieren, damit nicht entziehen.

Einige Informatik-Studiengänge in der Bundesrepublik haben verpflichtend – teilweise schon im Grundstudium – ein Fach "Informatik und Gesellschaft" etabliert. Der Mangel dieses Faches ist in der Vergangenheit häufig gewesen, daß die Lehrenden selbst nicht aus der Informatik kamen, die Lehrinhalte deshalb oft nicht nah genug anschließen konnten an die Inhalte der anderen Fachgebiete der Informatik, an die technischen Konzepte und an die alltägliche Arbeit des Konstruierens von Software.

Ein Studienfach "Informatik und Gesellschaft" sollte das Ziel verfolgen, die konkreten Modelle, Werkzeuge, Methoden der Informatik im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext ihrer Entstehung zu reflektieren und Alternativen der Gestaltung in ihren gesellschaftlichen Implikationen deutlich zu machen. "Informatik und Gesellschaft" sollte den Studierenden Möglichkeiten anbieten, das Sprechen über Technik in sozialen Kategorien zu üben und zu erlernen.

Eine häufig von Frauen benannte Hemmschwelle für den Erwerb von Computerkenntnissen ist der extrem ausgeprägt Jargon, in dem mit sehr unklaren Bedeutungen und wirren Begrifflichkeiten operiert wird. Dabei ist die Fähigkeit, zwischen Begriffen der Alltagssprache und formaler bzw. technischer Sprache zu unterscheiden, aber auch zu vermitteln, besonders zu fördern (siehe dazu auch [Crutzen 1995)]. Hier liegt einer der Schwachpunkte bisheriger Informatik-Ausbildung. Nur auf diese Weise kann technische Konstruktion auch für den gesellschaftlichen Diskurs geöffnet und einer demokratischen Kontrolle zugänglich werden.

Ein dritter Bereich der Informatik, auf den ich gesondert eingehen möchte, ist der des Programmierens. Eine Reihe äußerer Faktoren scheinen den Zugang von Studentinnen zu der Arbeit am Rechner zu erschweren: Die Rechnerausstattung an den Universitäten ist teilweise unzureichend, in den Rechnerräumen herrscht ein frauenfeindliches Klima, gestützt durch pornografisches Material, das auf den Rechnern vorhanden ist oder über's Netz geholt wird. Kenntnisse über Rechner, Betriebssysteme, Programme, spezielle Einstellungen und Tricks werden als Geheimwissen gehandelt und innerhalb der "Young-boys-networks" weitergegeben. Eine Frauenuniversität wird durch die Abwesenheit oder jedenfalls Minderheitensituation von Männern hier schon per se andere und für Frauen befreiende Bedingungen bieten.

Ein wesentlicher Faktor für das Gefühl der Verlorenheit, das Frauen in Computerräumen leicht beschleicht, ist jedoch auch die häufig völlige Ungeklärtheit von Zuständigkeiten und Kompetenzen. Wen kann ich ansprechen, wenn mit der Hardware etwas nicht stimmt? Wer kennt sich mit dem Betriebssystem aus? Wer hilft mir bei der Benutzung dieses oder jenes Software-Werkzeugs? Wer hat Erfahrungen mit dieser speziellen Programmiersprache? Es handelt sich oft gerade um Erfahrungswissen, das nicht über Literatur und über Lehrveranstaltungen vermittelt werden kann. Von einer sorgfältigen Diskussion und Regelung der Unterstützung in solchen Fragen, die nicht direkt aus einer Lehrveranstaltung heraus oder von den jeweiligen DozentInnen geleistet werden kann, wird der Erfolg eines Studiengangs Informatik wesentlich mit abhängen. Es braucht ausreichend technisches Personal, ein TutorInnensystem und klare Zuständigkeiten, aber auch ein durchschaubares Netz von Kompetenzen unter den Studierenden. Der Erwerb von Selbstbewußtsein und Überblick im Umgang mit solchen praktischen Programmierproblemen ist eine wesentliche Basis für einen souveränen, entscheidungskompetenten und verantwortlichen Umgang in der Auswahl von Hardware- und Softwaresystemen für Anwendungen und Neuentwicklungen in der späteren Berufspraxis – einer Kompetenz, an der es InformatikerInnen heute oft mangelt, die aber fast überall, wo sie später arbeiten, eine entscheidende Komponente ihrer beruflichen Anforderungen darstellt.

2 Studieren in Projekten

Lernen und Arbeiten in Projekten, wie z.B. auch Peter Denning es vorschlägt, ist eine der Formen, die in der Diskussion um Verbesserungen des Curriculums Informatik weitgehend unumstritten sind. Es befähigt zur selbständigen Aneignung von Lerninhalten, erlaubt eine Verbindung zu Fragestellungen der Praxis, unterstützt ein ganzheitliches, interdisziplinäres Vorgehen und fördert soziale Kompetenzen. Dennoch ist ein "forschendes Lernen" in der universitären Ausbildung eher eine Seltenheit.

Ob es sich schon im Grundstudium empfiehlt, das Lernen in der Form von Projekten zu organisieren und welches Gewicht die Projekte im Vergleich zu traditionellen Lehrveranstaltungen wie Vorlesungen, Seminaren, Übungen haben bzw. ob sie diese weitgehend ersetzen können, das wäre in Auswertung bisheriger Erfahrungen mit Projekten in Schule und Universität zu überprüfen (z.B. war Projektstudium das wesentliche Konzept beim Aufbau der Universität Bremen, ist heute aber auch dort stark eingeschränkt). Die Umsetzung wird unter anderem auch von den organisatorischen Bedingungen, z.B. der Anzahl der Studierenden eines Jahrgangs und von den Qualifikationen der Lehrenden abhängen.

Eine Gefahr bei der Themenstellung bisheriger Projekte in der Informatik-Ausbildung ist, daß die Themen weniger an den Ausbildungsinteressen der Studierenden orientiert sind, sondern an Anforderungen des Forschungsbereichs oder an industriellen Nutzungsinteressen. In diesem Fall steht dann oft die Notwendigkeit, etwas Verwertbares fertigzustellen bzw. Entscheidungen nach ökonomischen oder forschungspolitischen Gesichtspunkten zu treffen. Demgegenüber muß ein Projekt an der Universität die optimale Ausbildung der Studierenden als obersten Ziel haben. Dies kann mit Interessen an der Verwertbarkeit des Produktes vereinbar sein, muß aber nicht. So ist die Frage der Einbindung solcher Projekte in praktische Anwendungen sorgfältig abzuwägen. Sie muß auf jeden Fall so entschieden werden, daß das Ziel einer Ausbildung der Studierenden in jeder Projektphase oberste Priorität behalten kann.

Vielleicht könnte es sich auch empfehlen, im Verlauf eines Studiums zwei Projekte, z.B. über jeweils zwei oder drei Semester durchzuführen, einmal mit dem Schwerpunkt darauf, daß gelernt wird, Methoden der Informatik kennenzulernen und anzuwenden, Modelle zu bilden, Werkzeuge kennenzulernen, ein Produkt zu gestalten; ein andermal mit dem Schwerpunkt, einen Entwicklungsprozeß in all seinen Phasen verstehen zu lernen, mit unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert zu werden, Verantwortung zu übernehmen, Projektmanagement zu trainieren. Beide Zielsetzungen könnten sich z.B. auch in unterschiedlich starker Einbindung in einerseits den universitären Rahmen oder in andererseits eine betriebliche Praxis ausdrücken.

Fragestellungen von Projekten dürfen sich nie nur auf ein Teilgebiet der Informatik beziehen. Sie sollen vielmehr so angelegt sein, daß Kenntnisse aus allen Fächern erforderlich sind und gelernt werden müssen, ja darüber hinaus auch die Fähigkeit zur Einarbeitung in ein Anwendungsgebiet und zum interdisziplinären Arbeiten erworben werden kann. Lehrende der Informatik aus unterschiedlichen Teildisziplinen müssen zu diesem Zweck zusammenarbeiten, darüber hinaus ist es sinnvoll, mit anderen Studiengängen, z.B. aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch aus Naturwissenschaften oder anderen Ingenieurdisziplinen in einem Projekt zu kooperieren.

Eine Frauenuniversität sollte über das Interesse an Forschung und Lehre hinaus aber ein Interesse an gesellschaftlicher Ausstrahlung und Wirkung ihrer Forschung und Lehre verfolgen. Ihre Anstrengungen sollten darauf gerichtet sein, mittels ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit zu einer Verbesserung der Lage der Frauen insgesamt beizutragen, sich um den Transfer ihrer Ergebnisse in die Gesellschaft zu kümmern. So ist auch anzustreben, daß die Projekte in der Lehre ausdrücklich zum Ziel haben, eine Kooperation mit Frauenprojekten, Frauen im Management, Betrieben mit vorwiegend Frauenarbeitsplätzen usw. anzustreben und sie bei der Erarbeitung informationstechnischer Lösungen zu unterstützen. Dies kann nicht die professionelle Herstellung von Software durch Herstellerfirmen ersetzen, aber kritische und innovative Anstöße für die Entwicklung und Anwendung von Softwaresystemen geben.

Gerade in Projekten, die in Kooperation mit Anwendungsbereichen stattfinden, können die Studierenden lernen, die verschiedenen Akteurssichten zu reflektieren und Modellbildung aus unterschiedlichen Perspektiven vorzunehmen und zu bewerten. Sie erwerben dabei durch Kontakt mit späteren AnwenderInnen und BenutzerInnen soziale Kompetenzen und die Fähigkeit, ihre Entscheidungen zu begründen und zur Diskussion zu stellen.

Kontakte und Kooperationsbeziehungen zu Frauen in der Berufspraxis, ihre Einbeziehung in Projekte, kann eine Frauenuniversität unter anderem auch dadurch herstellen, daß sie neben dem Studium Veranstaltungen zur Weiterbildung für berufstätige Frauen, Blockseminare, Workshops, Vorträge anbietet.

Zu den Aufgaben der Hochschulen zählt es, Weiterbildung auf einem allgemeinen, herstellerunabhängigen und wissenschaftlichen Niveau anzubieten [Cinka et al. 1995, S.106],

heißt es in einer Empfehlung zur Weiterbildung aus der Gesellschaft für Informatik.

Dies kann einerseits eine geeignete Dienstleistung einer Universität sein, indem sie die neuesten Forschungsergebnisse in die Gesellschaft hinein vermittelt. Für die Studierenden ist dies gleichzeitig eine gute Chance, frühzeitig und immer wieder mit Anforderungen aus der Praxis konfrontiert zu werden. Darüber hinaus bietet dies eine Möglichkeit, das Curriculum der Universität immer wieder zu überprüfen und zu messen an den Anforderungen der Gesellschaft. Nur so kann seine Rückkoppelung und Aktualität ermöglicht werden.

3 Wie die Lehrenden lernen

Die Vorschläge für eine Organisation des Curriculums Informatik stellen hohe Anforderungen an die Lehrenden. Viele dieser Vorstellungen sind nicht neu und werden häufiger geäußert in Diskussionen um die Lehre in der Informatik. In der Praxis scheitern sie jedoch nicht selten an den Voraussetzungen, die die Lehrenden mitbringen und an den institutionellen Beschränkungen. So muß die Universität für Frauen den Dozentinnen die Gelegenheit bieten, sich gründlich mit den neuen Anforderungen eines fachübergreifenden, interdisziplinären und projektbezogenen Arbeitens vertraut zu machen und sich darauf vorzubereiten. Die Lehrenden selbst müssen die Gelegenheit und Pflicht zur Auseinandersetzung mit neueren Forschungsergebnissen anderer Teilgebiete und Disziplinen haben. Sie müssen Gelegenheit und Unterstützung finden, Praxiskontakte zu knüpfen, Projektleitungserfahrungen zu sammeln, sich untereinander zu verständigen über den jeweiligen Stand der Forschung. Dazu braucht es spezieller Einrichtungen, unterstützender Institutionen und Veranstaltungen. Eine gute Unterstützung durch eine hochschuldidaktische Einrichtung ist erforderlich. Auch für die Lehrenden ist eine qualifizierte Unterstützung durch Personal, das die technischen Voraussetzungen für das Forschen und Lehren schafft, instand- und aktuell hält, ein wesentlicher Faktor. Nicht nur das Lernen, auch das Lehren an einer Hochschule für Frauen soll Spaß machen.

4 Frauenforschung

Frauenforschung soll an einer Universität für Frauen einen zentralen Stellenwert einnehmen (ausführlicher zu den Perspektiven einer Frauenforschung in der Informatik siehe [Frauenarbeit und Informatik 1992]; [Schelhowe/Vossenberg 1991]). Für eine an Frauen gerichtete Lehre ist es unerläßlich, genauer zu verstehen und zu erforschen, warum Mädchen und Frauen in dieser Gesellschaft sich immer wieder davon abhalten lassen, eine qualifizierte technische Ausbildung anzustreben und durchzuhalten. Wir haben herausgefunden, daß und wie Frauen sich von einer männlich dominierten Kultur ausgegrenzt fühlen. Wir sehen heute deutlicher, daß Berufen, in denen überwiegend Frauen tätig sind, unabhängig von den tatsächlichen Tätigkeiten und Qualifikationen, kein hohes technisches Niveau zuerkannt wird. Doch unsere Forschungsergebnisse und die Erfolge entsprechender Intitiativen noch unbefriedigend. Die Notwendigkeit weiterer Forschungen auf diesem Gebiet liegen auf der Hand.

Jedoch reicht es nicht aus, nur die Frauenfrage in diesem Sinne zu stellen. Vielmehr ist zu fragen, wie eine feministische Forschung die Computertechnologie und die Wissenschaft Informatik selbst verändern kann. Die Geschichte der modernen Mathematik, Naturwissenschaft und Technik ist verbunden mit der Vergeschlechtlichung von Prozessen, Gegenständen, Methoden. Die Informatik und die Computertechnik sind ein zentraler Schauplatz, wo das Ringen um neue Wertvorstellungen ausgetragen wird. Dieser Kampf könnte münden in einer neuen, aber wiederum vergeschlechtlichten Definition von Wissenschaft und Technologie. Männlichkeit und Weiblichkeit würden in ihren Inhalten neu festgelegt, ohne daß das Geschlechterverhältnis selbst tangiert ist. Für eine feministische Forschung stellt sich die Aufgabe, geschlechtsspezifische Etikettierung aufzudecken und zu kritisieren. Gleichzeitig kann die Offenheit der gegenwärtigen Situation dazu genutzt werden, die Vielfalt möglicher Verhaltensweisen und Wertmaßstäbe, wie sie auch unter Frauen verschiedener Klassen, Rassen und Nationalitäten vorhanden sind, deutlich zu machen und ihnen zur Entfaltung zu verhelfen.

Es wird aber nicht ausreichen, nur Symbolsysteme, Bewußtseinsstukturen und Beziehungen zu verändern. Es geht auch um die Veränderung von Machtverhältnissen, die ihre Wurzeln in den Strukturen der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung haben. Mit der Einführung von Informationstechnik müssen die neuen Artefakte und die neuen Arbeitstätigkeiten kulturell angeeignet werden, dabei werden sie häufig weiblichen und männlichen Kategorien zugeordnet. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zeigt sich relativ stabil. Neben der Geschlechterhierarachie in der Erwerbsarbeit ist die Teilung in Ewerbsarbeit und privat ausgeführte Hausarbeit und Kindererziehung eine zentrale Struktur in der Aufrechterhaltung des Geschlechterverhältnisses. Mit der Durchdringung der Gesellschaft mit Informationstechnologie ist auch das Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit und Lebenswelt fundamental betroffen. Die Umbrüche, die gegenwärtig hier stattfinden, können und müssen genutzt werden, das Geschlechterverhältnis zu verändern. Dies ist nicht nur eine soziale Frage, sondern findet seinen Ausdruck auch in der bewußten Gestaltung einer Technik, die die von uns gewünschten Verhältnisse unterstützen kann.

Frauenforschung in all diesen Dimensionen kann und soll integrierter Bestandteil der Lehre an der Frauenuniversität sein, wie sie insbesondere auch in der Form von Projekten stattfindet. Daneben aber bedarf es eigener Forschungsansätze, die auch in gesonderten Lehrveranstaltungen ihren Ausdruck finden können, um feministische Theorie für die Informatik fruchtbar werden zu lassen. Auch dies muß in das Curriculum Eingang finden.

Literatur:

Andersen, Peter Bøgh: A Theory of Computer Semiotics. Semiotic Approaches to Construction and Assessment of Computer Systems. Cambridge University Press 1990.

Brauer, Wilfried; Münch, Siegfried: Studien- und Forschungsführer Informatik. Wissenschaftliche Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Berlin, Heidelberg, New York: Springer (3., völlig überarb. Aufl.) 1996.

Cinka, H.P. et al.: Empfehlung des Fachbereichs 7 "Ausbildung und Beruf" der Gesellschaft für Informatik zur Weiterbildung für Informatiker durch die Hochschulen. In: Informatik-Spektrum Nr. 18 1995, S.106-109.

Coy, Wolfgang; Nake, Frieder; Pflüger, Jörg-Martin; Rolf, Arno; Seetzen, Jürgen; Siefkes, Dirk; Stransfeld, Reinhard (Hrsg.): Sichtweisen der Informatik. Braunschweig: Vieweg 1992.

Crutzen, Cecile: Feministische Theorien: Eine Inspiration für die Curriculum-Entwicklungen in der Informatik. In: Frauenarbeit und Informatik Nr. 11, 1995, S.45-54.

Denning, Peter: Educating a New Engineer. In: Communications of the Acm Nr. 12, 1992, S.83-97.

Dijkstra, Edsger, W.: On the Cruelty of Really Teaching Computing Science. In: Communications of the Acm, Vol.32, 1989, S.1398-1404.

Erb, Ulrike: Frauenperspektiven auf die Informatik. Infomatikerinnen im Spannungsfeld zwischen Distanz und Nähe zur Technik. Münster: Westfälisches Dampfboot 1996.

Floyd, Christiane; Züllighoven, Heinz; Budde, Reinhard; Keil-Slawik, Reinhard (Hrsg.): Software-Development and Reality Construction. Berlin: Springer 1992.

Frauenarbeit und Informatik, Schwerpunkt "Frauenforschung", Nr.5, März 1992.

Håpnes, Tove; Rasmussen, Bente: The Production of Male Power in Computer Science. In: Anna-Maija Lehto/Inger Eriksson (Eds.): Women, Work and Computerization. Precedings, Helsinki 1991, S.407-423.

Hartmann, Michael: Informatiker in der Wirtschaft. Perspektiven eines Berufs. Berlin, Heidelberg: Springer 1995.

Knapp, Gudrun-Axeli: Männliche Technik – weibliche Frau? Zur Analyse einer problematischen Beziehung. In: Becker, Dietmar et al.: Zeitbilder Technik. Essays zur Geschichte von Arbeit und Technologie. Bonn: Dietz 1989.

Möller, Martina: Informatik bald ohne Studentinnen? Zur Situation von Informatikstudentinnen und Handlungsperspektiven der Fachbereiche. In: Frauenarbeit und Informatik Nr. 9, 1994, S.44-48.

Nievergelt, Jürg: Welchen Wert haben theoretische Grundlagen für die Berufspraxis? Gedanken zum Fundament des Infomatikturms. In: Informatik-Spektrum Nr. 18 1995, S.342-344.

Oechtering, Veronika: Informatica Feminale. Sommeruniversität für Frauen in der Informatik. In: Frauenarbeit und Informatik Nr. 12, 1995 S. 55-57.

Parnas, David, L.: Respond to DijkstraÕs Comments, In: Communications of the Acm, 1989, Vol.32, S.1405f.

Schelhowe, Heidi: Frauenspezifische Zugänge zur und Umgangsweisen mit Computertechnologien. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nrw, Landesprogramm "Mensch und Technik – Sozialverträgliche Technikgestaltung", Werkstattbericht Nr.74 1989.

Schelhowe, Heidi; Vosseberg, Karin: Aspects of Women's Research in Computer Science. In: I.V.Eriksson, B.A.Kitchenham, K.G.Tijdens (eds.): Women, Work and Computerization. Proc. Helsinki 10 June - 2 July 1991. Amsterdam, London, New York, Tokyo: North-Holland 1991, S.67-80.

Schinzel, Britta: Informatik und weibliche Kultur. In: [Coy et al. 1992], S.249-275.