Curriculum-Workshop 1997

Positionspapiere

 

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Das Informatikstudium: Zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und Erwerb von Berufsfähigkeit?

 

4. und 5. Dezember 1997, Hotel Rosop, Barnstorf

 

Erster Workshop im Rahmen des Projekts Informatica Feminale – Sommeruniversität für Frauen in der Informatik

 

Workshop-Organisation
Veronika Oechtering und Dr.-Ing. Karin Vosseberg
AG Theoretische Informatik
Fachbereich Mathematik/Informatik

Universität Bremen
Postfach 330440
28334 Bremen

 

 

Projekte als wesentliches Gestaltungselement eines veränderten Informatik-Curriculums: Ein Konzept für eine Lehrveranstaltung der Bremer Sommeruniversität

 

Anne Brüggemann-Klein, Barbara Paech

{brueggem|paech} '' '' informatik.tu-muenchen.de

 

Zusammenfassung

In diesem Beitrag stellen wir eine mögliche Lehrveranstaltung auf der Sommeruniversität der Informatica Feminale vor: das Projekt "Elektronisches Publizieren im WWW". Wir diskutieren im ersten Teil die Überlegungen, die in das Konzept dieser Lehrveranstaltung eingefloßen sind, insbesondere auch die Wahl der Angebotsform Projekt. Im zweiten Teil skizzieren wir das Projekt selbst.

1. Curriculums-Gestaltung durch Projekte

Oechtering und Vosseberg stellen in ihrem Positionspapier [OeV97] das weite Spektrum der Curriculums-Diskussion allgemein und für die Informatica Feminale vor:

A. Wollen Frauen ein anderes Informatikstudium als Männer?
B. Ausbildung für die Wissenschaft oder die industrielle Praxis?
C. Was ist das Selbstverständnis der Informatik?

Wir nehmen nachfolgend zu diesen drei Punkten Stellung, argumentieren dabei jeweils für ein auf Projekte ausgerichtetes Studium, und gehen dann noch auf einen weiteren wichtigen Punkt ein:

D. Wie gestaltet man Kompetenzvermittlung im Zeitalter der Informationsgesellschaft?

Dabei verstehen wir unter einem Projekt

Zu A. Das Endziel des Studiums ist unserer Meinung nach für Frauen und Männer gleich: kompetentes Handeln im Fachgebiet. Unterschiedlich scheint zu sein, wann Frauen bzw. Männer sich kompetent fühlen. So belegen Untersuchungen, daß Frauen Erfolg eher als Männer äußeren Faktoren als ihrer eigenen Kompetenz zuschreiben ([Bre89], darin zitiert [Rus88]); auch in Prüfungen können wir immer wieder feststellen, daß glatte Einserkandidatinnen oft sehr überrascht sind über die gute Bewertung und sich sogar dafür bedanken! Weiterhin scheinen Frauen eher als Männer die Beurteilung der möglichen Folgen und Nutzen der technischen Artefakte als Teil der Fachkompentenz anzusehen [Erb96]. Daraus folgt für uns, daß das Informatikstudium insbesondere Gelegenheit geben sollte, die jeweils erworbenen Kenntnisse im Handeln zu erproben und so vorhandene oder mangelnde Kompetenz konkret zu erfahren, so daß die Studierenden eine realistische Einschätzung ihrer Kompetenz gewinnen. Dieses Handeln erfolgt idealerweise in Projekten, deren Endziel ein zum Einsatz kommendes Produkt ist, denn beim Einsatz stehen Fragen nach Folgen und Nutzen ganz von selbst im Vordergrund.

Zu B. Die Gegenüberstellung von Wissenschaft und Beruf wird vor allem im Zusammenhang mit den sog. extra-funktionalen Qualifikationen [Dos97] wie Kommunikations- und Teamfähigkeit thematisiert. Die Ingenieursverbände fordern in diesem Zusammenhang Methodenkompetenz, Systemkompetenz, Organisationswissen und Sozialkompetenz und gesellschaftsbezogene Kompetenz (zitiert nach [Mahn97]). Diese Kompetenzen sind aber für WissenschaftlerInnen und Firmenangestellte in gleicher Weise wichtig. Auch Wissenschaft ist heute nur in sehr geringem Umfang reine Grundlagenforschung. Dies gilt insbesondere in der Informatik, wo allein aufgrund des technologischen Aufwandes nur noch in Gruppen und nicht selten mit Industriepartnern gearbeitet wird. Die obengenannten Kompetenzen erfordern Kenntnisse über Methoden, angrenzende Fachgebiete, organisatorische und gesellschaftliche Zusammenhänge. Noch wichtiger ist aber die Kompetenz zum Handeln im Geflecht dieser vielfältigen Zusammenhänge. Auch hier sind unserer Meinung nach Projekte besonders geeignet, um diese Handlungskompetenz zu gewinnen.

Zu C. Wie [Mahn97] sind wir der Meinung, daß ein rein auf Technik ausgerichtetes Bild der Informatik nicht angemessen ist. Um Technik gestalten zu können, ist ein Verständnis des Einsatzkontextes unabdingbar. Andererseits greift ein einfaches Abzählen der Semesterwochenstundenanteile für die verschiedenen Lehrinhalte - wie in [Mahn97] - zu kurz. Der hohe Anteil theoretischer Grundlagenveranstaltungen ist unserer Meinung nach viel weniger problematisch als die Tatsache, daß diese Grundlagen ohne Bezug zu einer späteren Verwendung vermittelt. Genausowenig hilft das bloße Hinzunehmen von Lehrveranstaltungen zu einsatzkontextbezogenen Themen wie Recht, Ethik, Technikfolgenabschätzung etc. oder auch die in [OeV97] vorgeschlagene Behandlung von informatischen Querschnittsthemen, wenn nicht durch eine konkrete Problemstellung der Rahmen für das Zusammenwirken der verschiedenen Aspekte deutlich wird. Auch hier bietet sich unserer Meinung nach als solch ein Rahmen die Technikgestaltung in konkreten Projekten an.

Zu D.Als wichtige Ergänzung zu den obigen Aspekten der Curriculums-Diskussion gehen wir auf die Frage nach der Gestaltung der Kompetenzvermittlung im Zeiltalter der Informationsgesellschaft ein. Wie in [Kneu9] argumentiert, ermöglichen Vorlesungen nur die Vermittlung von Kenntnissen. Wissen und Können (also Kompetenz) kann aber nur durch eigenständiges Handeln erworben werden. Um mehr Zeit für die Kompetenzvermittlung zu haben, bietet es sich an die Kenntnisvermittlung durch Vorlesungen durch Informationsangebote im Internet zu ersetzen. Denkbar sind z.B. multimedial aufbereitete Kurse, die von Studierenden im Selbststudium zuhause durchgearbeitet werden. Genauso denkbar ist aber auch, daß diese Kenntnisse ``on-the-fly'' bei der Gestaltung von Technik in Projekten erworben werden. Dies gilt insbesondere für Kenntnisse, die nach dem Vordiplom erworben werden, wo also schon ein gewisser Grundstock an Wissen und Können im Fachgebiet vorhanden ist.

Wir haben in der obigen Diskussion Projekte als wesentliches Gestaltungselement eines veränderten Informatik-Curriculums vorgeschlagen. Aus den Diskussionen über die geeignete Form der Software Engineering Ausbildung (z.B. im Rahmen der zweijährig stattfindenden Workshops SEUH - Software Engineering im Unterricht der Hochschulen [SEUH]) sind uns die Probleme der Projekte im Hochschulunterricht bekannt (z.B: Aufwand und Kompetenz der Lehrenden, Aufwand der Studierenden, Frage der begleitenden oder vorgelagerten Kenntnisvermittlung, Einfluß der Gruppenzusammensetzung). Diese Probleme treten dort verstärkt auf, da Software Engineering ein besonders komplexes Teilgebiet der Informatik ist. Interessant erscheint uns, mit Projekten auch zur Wissens- und Könnenvermittlung bzgl. anderer Informatik-Teilgebiete zu experimientieren. Unser Vorschlag für die Informatica Feminale ist ein mögliches Experiment in dieser Richtung.

2. Das Projekt "Elektronisches Publizieren im WWW"

Im Rahmen des Projektes soll ein interessanter Text-Corpus aufbereitet und im WWW publiziert werden. Denkbar wäre es, als Text-Corpus die Workshop-Materialien zu wählen; alternativ können wir auch auf elektronische Manuskripte von Textbüchern zurückgreifen, die im MeDoc-Projekt als Hypertexte elektronisch publiziert werden. Zielformat für die Publikation ist XML, eine Sprache, die derzeit vom WWW-Consortium entwickelt wird und langfristig HTML ablösen wird.

Lernziel des Projektes von den Informatik-Inhalten her sind Aspekte des Document Management. Diesbezüglich ist es unsere Intention, daß die Studentinnen

Wir möchten in der Lehrveranstaltung die Lernziele thesenartig vorstellen und dann den Teilnehmerinnen Gelegenheit geben, sich die entsprechenden Fachkenntnisse durch Recherchieren im WWW selbständig anzueignen. Die Umsetzung dieser Kenntnisse im Projekt beinhaltet dann die folgenden Schritte:

Eine Einordnung des Elektronischen Publizierens in seine vielfältigen übergreifenden Zusammenhänge (Gesetzesfragen, Standardisierung, gesellschaftspolitische Fragen der Informationsgesellschaft, unternehmerische Aspekte) ist ein weiteres Lernziel der Veranstaltung. Die Thematisierung soll durch kleine Referate, eventuell auch durch Rollenspiele oder Debatten zur Entscheidungsfindung, erfolgen.

Bei der Durchführung des Projekts werden Techniken des Software Engineering zum Einsatz kommen. Diese beziehen sich zum einen auf die organisatorische Gestaltung von Projekten (z.B. Teamsitzungen, Aufwand- und Terminfestlegung, systematische Verwaltung von Entwicklungsdokumenten), zum anderen auf das technische Vorgehen bei der Entwicklung (z.B. Analyse der Problemstellung, Anforderungsdefinition, Entwurf). Um die im Projekt selbstständig zu lernenden Fachkenntnisse in Grenzen zu halten, geben wir die Techniken vor; entsprechende Kenntnisse werden in praktischen Übungen vermittelt.

Als Programmiersprache schlagen wir JAVA vor. Dokumentation und tutorielle Einführungen zu JAVA stehen im WWW ausreichend zur Verfügung und können, nach einer Kurzeinführung durch uns, ebenfalls selbständig von den Projektteilnehmerinnen recherchiert werden.

Vom Zeitaufwand veranschlagen wir vier Stunden pro Tag für die Dauer der Sommeruniversität. Für eine optimale Betreuung sollte die Teilnehmerinnenanzahl 10 nicht übersteigen (je fünf in einem Team). Die Teilnehmerinnen sollten Kenntnisse zum Recherchieren im WWW und zu HTML mitbringen sowie über Erfahrung mit einer objekt-orientierten Programmiersprache verfügen.

Der Gewinn für die Projektteilnehmerinnen stellt sich folgendermaßen dar:

Literatur

[Bre89] I. Brehmer (Projektleiterin): Mädchen, Macht (und) Mathe. Geschlechtsspezifische Leistungskurswahl in der reformierten Oberstufe, Dokumente und Berichte 10 der Ministerin für die Gleichstellung von Frau und Mann, Nordrhein-Westfalen, 1989
[Dos97] W. Dostal: Informatik-Qualifikationen im Arbeitsmarkt, Informatik-Spektrum 20/2, pp.73-78, 1997
[Erb96] U. Erb, Frauenperspektiven auf die Informatik, Verlag Westfälisches Dampfboot, 1996
[Kneu94] R. Kneuper: Anforderungen an den Unterricht der Hochschulen im Fach Software Engineering aus Sicht eines Softwarehauses, in SEUH94, (eds. H. Hussmann, B. Paech), German Chapter of the ACM, Bericht 43, Teubner Verlag, 1994
[Mahn97] A. Mahn: Informatische Berufsfähigkeit, Informatik-Spektrum 20/2, pp. 88-94, 1997
[OeV97] V. Oechtering, K. Vosseberg: Die Informatica Feminale als Ort des Experiments, Positionspapier, http://www.informatik.uni-bremen.de/~karla/informatica_feminale/Positionspapiere/Positionspapier.html
[Rus88]) Ruth Rustemeyer: Geschlechtsrollenstereotype und ihre Auswirkungen auf das Sozial- und Leistungsverhalten, Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie, 2, 1988, S. 115--129.
[SEUH] Software Engineering im Unterricht der Hochschulen, German Chapter of the ACM, Bericht 38, 43,44, 48, Teubner Verlag 1993, 1994, 1995, 1997